Freitag, 19. Juni 2009

Feste Familienbande

Sächsische Zeitung

Freitag, 24. Februar 2006

Neue Furcht vor der Schere im Kopf

Von Thomas Schade

Sorben. Der Verlag der Serbske Nowiny soll wieder zur Domowina, Redakteure sorgen sich um die Pressefreiheit, Funktionäre wiegeln ab.

Das mehr als 400 Jahre alte wendische Dörfchen Rohne unweit von Spremberg verdankt seinen Namen dem flachen Land, auf dem es liegt. Ruhig und beschaulich geht’s hier zu. Normalerweise. Ungewöhnlich hoch her ging es am ersten Sonnabend im Februar, als der Bundesvorstand der Domowina, des Dachverbandes der Sorben, in der Alten Schule beieinander saß.

Der hitzigen Debatte folgte ein ungewöhnlicher Beschluss: Einer der Gäste wurde aufgefordert, „sich öffentlich für seine Äußerungen zu entschuldigen, in denen er den heutigen Dachverband der sorbischen Vereine auf eine Ebene mit der Domowina zu DDR-Zeiten gestellt“ habe. So heißt es in der Pressemitteilung über die Attacke gegen den Chefredakteur der Zeitung Serbske Nowiny, Benedikt Dyrlich. Der wolle die Domowina in eine „Legitimitätskrise“ führen.

Marko Suchy, Direktor der Stiftung für das Sorbische Volk und einer der einflussreichsten sorbischen Amtsträger, forderte in der Debatte über Meinungsvielfalt in den sorbischen Medien „personelle Konsequenzen in der Redaktion“. Von einer „Hetzjagd“ sprach daraufhin ein offenbar gut informierter Anonymus im sorbischen Internetforum Internecy. Dyrlich selbst will sich dazu nicht näher äußern, sagt aber: Wenn er sich jetzt schon wegen drei Artikeln in der Sächsischen Zeitung und in der Serbske Nowiny entschuldigen müsse, „wie wird das erst, wenn die Domowina Gesellschafter der Zeitung ist?“

Revolution frisst ihre Kinder

Serbske Nowiny hatte in der Vergangenheit mehrfach ungeschminkt über Mängel berichtet, die der sächsische Rechnungshof bei der Verwaltung sorbischer Angelegenheiten entdeckt und als Verschwendung von Steuergeld kritisiert hatte. Chefredakteur Dyrlich wurde dafür wiederholt von sorbischen Spitzenvertretern attackiert. Vor zwei Jahren war die Domowina-Verlagsgeschäftsführerin Ludmila Budar gefeuert worden, weil sie unter anderem Strukturveränderungen in sorbischen Institutionen kritisiert hatte, die später tatsächlich korrigiert werden mussten. Beobachter schließen nicht aus, dass dem Chefredakteur der einzigen sorbischen Tageszeitung Ähnliches widerfahren könnte.

Außer dem heutigen Domowina-Vorsitzenden Jan Nuck ist Dyrlich einer der letzten sorbischen Reformer aus dem Herbst 1989, der heute in exponierter Position ist. Schon macht in Bautzen der Satz von der Revolution die Runde, die ihre Kinder fresse. „Bei uns dauert es nur etwas länger“, sagt einer der Reformer jener Zeit.

Anlass für den jüngsten Rüffel sind zwei Artikel in der SZ, die vor möglichen Folgen eines Gesellschafterwechsels beim Domowina-Verlag warnen. Mitarbeiter der Serbske Nowiny sehen die Pressefreiheit gefährdet, falls ihre Zeitung wie vor 1989 wieder ein Organ der Domowina würde. Seither ist der Kampf um die sorbische Pressefreiheit neu entbrannt.

Furcht vor Einflussnahme

Mit dem Eigentümerwechsel wollen Sorbische Stiftung und Domowina auf eine der Kritiken des Rechnungshofes reagieren. Der hatte die Doppelfunktion des Stiftungsdirektors Suchy als Gesellschafter des Verlages einerseits und Geldgeber andererseits beanstandet. Die Idee vom Wechsel des Verlages zur Domowina stammt angeblich von der Bundesregierung. Aber Sigrid Bias-Engels, die Vertreterin des Bundes in der Stiftung, dementierte: Der Vorschlag sei eindeutig von sorbischer Seite gekommen. Offenbar betrachtet auch der Bund als größter Geldgeber den Eigentümerwechsel als sensible Angelegenheit und sieht die redaktionelle Unabhängigkeit tangiert.

Sowohl die Zeitung als auch die Domowina nehmen den demokratischen Wandel nach 1989 für sich in Anspruch. Deshalb sei der Bundesvorstand über den DDR-Vergleich auch so empört, sagt Geschäftsführer Ziesch. Doch die Furcht vor Einflussnahme auf die Zeitung hat heute offenbar andere Ursachen. So finden sich in der Domowina zwar alle 16 großen Verbände, in denen die sorbische Volkskultur fortlebt. Dennoch sei der Dachverband nicht unbedingt die Interessenvertretung aller Sorben, glaubt Alfons Ritscher, Verwaltungsleiter der sorbischen Gemeinden im Landkreis Kamenz.

Feste Familienbande

Im Internet und hinter vorgehaltener Hand ist von beruflichen Abhängigkeiten und verwandtschaftlichen Beziehungsgeflechten in den Domowina-Gremien die Rede. Wenige Meinungsführer bestimmten den Gang der Dinge bei den Sorben. Domowina-Geschäftsführer Ziesch bestätigt, dass von den 30 Bundesvorstandsmitgliedern zehn gleichzeitig in sorbischen Institutionen angestellt seien. Nach SZ-Informationen stehen auch einige Familienangehörige von Vorständlern bei der Domowina oder bei der Stiftung in Lohn und Brot.

Für Familie Ziesch ist jede Bundesvorstandssitzung auch eine Familienangelegenheit: Vater Bernhard, der Geschäftsführer, wird von seiner Frau Monika und Sohn Peter im Vorstand flankiert; Domowina-Vorsitzender Jan Nuck ist mit zwei weiteren Vorständlern verschwägert. Insgesamt dürften nach SZ-Recherchen über die Hälfte der Bundesvorstandsmitglieder verwandtschaftlich verbunden oder der Domowina-Geschäftsführung beziehungsweise dem Stiftungsdirektor dienstlich unterstellt sein. Manchem Beobachter fällt es daher schwer zu glauben, dass da Interessenskonflikte bei Vorstandsentscheidungen ausgeschlossen werden können.

Derartige Verbindungen seien generell nicht zu vermeiden, da nach dem „Entsendeprinzip“ gewählt werde, sagt Bernhard Ziesch. Die Verbände stellen ihre Kandidaten für den Bundesvorstand auf. So wurde Monika Ziesch vom sorbischen Unternehmerverband nominiert und Peter Ziesch vom sorbischen Gesangsverein.

Bund und Länder am Zug

Bei den Sorben halte sich das gesellschaftliche Engagement eben in Grenzen, versucht Heiko Kosel die diversen Beziehungsgeflechte zu erklären. Der Sorbe vertritt die Linkspartei im Landtag. „Viel mehr Sensibilität“ ist seiner Ansicht nach nötig, wenn es um die innere Pressefreiheit im Domowina-Verlag geht. Deshalb fordert er „Schutzmechanismen“, die verhindern, dass Redakteure eine „Schere im Kopf“ haben. Schon in dieser Woche soll die strittige Übertragung des Verlages an die Domowina vorangetrieben werden. Unbestätigten Informationen zufolge will die Stiftung 94 Prozent ihrer Verlagsanteile an die Domowina abgeben.

Wenn stimme, was er da höre, könne schon der Eindruck von Vetternwirtschaft entstehen, sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Michael Konken, der sich in Bautzen über mögliche Folgen eines Gesellschafterwechsels für die Redaktion informierte. Er äußert „große Befürchtungen“, dass der Wechsel des Eigentümers „massive Einschnitte in die redaktionelle Unabhängigkeit“ nach sich ziehe. Seine „großen Befürchtungen“ hat Konken auch der zuständigen sächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Barbara Ludwig, mitgeteilt. Deren Haus hat sich angeblich noch nicht festgelegt. Die Übertragung an die Domowina sei nur ein Modell von mehreren, sagt eine Sprecherin.

Der Bund und die Länder Brandenburg und Sachsen, die jährlich 1,5 Millionen Euro für den Zeitungsbereich des Verlag bereit stellen, würden sich noch über ein geeignetes Gesellschaftermodell beraten und wollten auf jeden Fall im Konsens entscheiden. Gut möglich, dass die Geldgeber einem Modell mit mehr Wirtschaftskraft den Vorzug geben. Denn der Staatsvertrag über die Zuwendungen für die Sorben ist ausgelaufen und eine neue Vereinbarung nicht in Sicht. Ganz unverhofft könnten so auch ökonomische Argumente zum Zünglein an der Waage werden.

Hintergrund: Domowina-Verlag

Die Domowina (zu deutsch: Heimat) ist der Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen mit Sitz in Bautzen. Sie vertritt die Interessen der etwa 60 000 Sorben, die zumeist in Sachsen und Brandenburg leben.

Der Domowina-Verlag hat zwei Produktionsstandorte in Bautzen und in Cottbus. Zu seinen Produkten zählen wissenschaftliche Bücher, Schulbücher und mehrere sorbische Printmedien.

Der Zeitungsbereich des Verlages wird jährlich über die sorbische Stiftung mit 1,5 Millionen Euro unterstützt.

Die Serbske Nowiny, zu deutsch Sorbische Nachrichten, ist die einzige sorbische Tageszeitung. Sie erscheint abends, nach Redaktionsangaben mit Auflage von 1 800 Exemplaren.

Der Titel Serbske Nowiny hat eine 160-jährige Tradition. Er war in der Zeit des Nationalsozialismus verboten.

In der DDR erschien die sorbische Tageszeitung unter dem Titel Nowa Doba als Organ der Domowina.

1991 wurde der Verlag von der Treuhand vier großen sorbischen Vereinen übertragen. Später übernahm die Stiftung für das sorbische Volk die Verlags GmbH als Gesellschafter. (SZ)

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